Unser Wald wird sich und die Forstverwaltung muss sich ändern

Die Forstverwaltung ist verzweifelt. Unser Forst (nicht der "Wald") stirbt mit rasender Geschwindigkeit.

 

Klimawandel, Trockenheit und die darauf folgenden Schädlinge machen kurzen Prozess. Schon machen apokalyptische Szenarien die Runde, und als Gegenmittel fällt den auf Holzproduktion getrimmten Forstverwaltung nichts anderes ein, als exotische, völlig wertlose Baumarten in Reih und Glied zu setzen.

 

Aber ist alles wirklich so negativ oder gibt es auch Chancen in dieser Entwicklung? Schauen wir einmal auf die Historie zurück:

Einst ein artenreiches Ökosystem

Noch im 19. Jahrhundert war unser Wald - vor allem in der Rheinebene - kein Wald, wie wir ihn heute kennen. Auf Kilometer erstreckte sich ein blütenreicher Magerrasen mit vielen Sträuchern, Stockausschlag und wenigen alten Bäumen ("Überhältern"). Laub und Zweige wurden aus den Wäldern in die Dörfer getragen. Die Eicheln wurden durch Schweine gefressen, die man tagsüber in den Wald trieb. Alle Nährstoffe wurden daher gründlich aus dem Wald entfernt.

Die ökologische Diversität solcher Wälder war hoch. Wir kennen Aufstellungen des lokalen Schmetterlingssammlers Gremminger aus dem Kammerforst aus den 1920er Jahren. Dieser fand dort "mitten im Wald" Schmetterlinge in Hülle und Fülle, die heute entweder ganz ausgestorben sind oder nur noch auf wenigen Magerrasen im Kaiserstuhl vorkommen. Lange hatten wir angezweifelt, dass diese Angaben stimmen. Aber sie sind erklärbar, wenn man weiß, dass die Wälder früher ganz anders waren.

Die ökologische Bedeutung war also viel höher, aber die Holzproduktion war entsprechend niedrig - noch schlimmer im Schwarzwald, der fast komplett abgeholzt war. Kaum jemand konnte mit Holz wirklich Geld verdienen.

Der Forst als Holzproduktions-Maschine

Die große Umstellung kam dann ab der industriellen Revolution im späten 19. Jahrhundert. Um unsere heimische Holzproduktion zu sichern, wurden die Wälder in Reih und Glied mit möglichst dichten Beständen von schnellwachsenden Bäumen aufgeforstet - Fichte in den Mittelgebirgen und Kiefer in der sandigen Rheinebene. Die Fläche der heimischen Buchen- und Eichenwälder nahm rasant ab. Wald wurde zu Forst.

Damit ging aber die ökologische Bedeutung des Walds fast überall verloren. Schön sieht man das an der Borstigen Glockenblume, früher eine weit verbreitete und häufige Waldart, die sich nach dem zweiten Weltkrieg auf die Kahlschläge zurückzog und seit dem Wegfall der Kahlschläge komplett verschwand.

Die Wälder wurden nicht nur artenarm, sondern die Monokulturen waren gleichzeitig auch höchst empfindlich gegen Schädlinge. Nach dem 2. Weltkrieg war es gang und gäbe, ganze Wälder mit DDT einzunebeln, um den Maikäfer zu vernichten - bei dieser Gelegenheit machte man gleich noch der ganzen Holzökologie den Garaus. Und ihre Lebensgrundlage wurde durch die systematische Entfernung des Totholzes komplett vernichtet.

Nur noch ein Schatten der einstigen Pracht

Bereits in den 1960er Jahren war unser einst artenreicher Wald daher eine stumme, artenarme Holzproduktionsmaschine. Die wenigen noch verbliebenen artenreichen Wege, Säume und Schläge überwuchsen mit Brennesseln und Brombeeren, befördert durch die über die Luft eingetragenen Nährstoffe. Lediglich ein paar Wildschweine konnten sich in den dunklen Dickungen noch halten.

Mehrere Generationen von Förstern wurden ausgebildet mit einer simplen Maxime: Optimierung des Holzertrags zum Profit der Waldbesitzer und der Gemeinden; Reduktion der "Schädlinge" (d.h. der Ökologie) um jeden Preis. Ökologie spielte keine Rolle, sondern Betriebskosten. Noch in den 1980er Jahren wurden auf Gemarkung Heidelsheim die Buchen totgespritzt, um Platz für Fichten und Douglasien zu schaffen.

Um den Wald hübscher aussehen zu lassen, ließ man (auch auf Bruchsaler Gemarkung) am Rand der hässlichen Douglasien- und Fichtendickungen oft zur Tarnung einen schmalen Saum von Laubbäumen stehen.

"Naturschutz im Wald" fand in den letzten 30 Jahren nur widerwillig statt. Die Ausweisung von Bannwäldern und Naturschutzgebieten im Wald geschah nur bei größtmöglichem Widerstand der Forstverwaltung.

Wir vergessen oft, dass unsere so oft gelobten Wälder nur noch ein Schatten der einstigen Pracht sind und zur "Holzproduktionsmaschine" verkamen, oft mit der gleichen geringen ökologischen Bedeutung wie ein Maisacker.

Relikte dieser traurigen Zeit bis in die 1980er Jahre sind die vielen Fichten- und Douglasienbestände vor allem rund um Heidelsheim, die damals bereits von der AGNUS beklagt wurden (siehe Bild). Einen Lichtblick gibt es aber: diese Bestände sind todkrank (besonders die Fichten) und werden vorzeitig ausfallen. Die Forstverwaltung sieht hier in der Regel Wiederaufforstung mit Laubholz vor.

Der Klimawandel schlägt zu

Auf diese desolaten, kaputtgemachten Bestände trifft jetzt der Klimawandel mit voller Wucht:

- die zunehmenden Stürme treffen auf viel zu dicht gepflanzte, spargelähnliche Reinbestände und reißen diese mühelos in den Abgrund, so wie bei "Lothar" und "Wiebke". Beide Stürme waren für die Ökologie auf weite Strecken ein Segen!

- die vorgeschädigten Bäume in der Rheinebene können auf die zunehmende Dürre und die Grundwasserschwankungen nicht genügend reagieren. Besonders schlimm trifft es ausgerechnet die eigentlich genügsame Kiefer, die in der Rheinebene viel zu dicht und als "Spargelwald" gebaut worden war. Die als Ersatz unter die Kiefer gepflanzten Buchen verlieren als Schattkeimer ihre Deckung und gehen sogar vorher zugrunde.

- die "Schädlinge" wie Maikäfer, Borkenkäfer und diverse Prachtkäfer können sich und trotz chemischer Bekämpfung ausbreiten. Sie profitieren von der geringen Widerstandskraft der Bäume.

Was sind die notwendigen Konsequenzen?

Wir müssen akzeptieren, dass unser Wald, vor allem derjenige in der Rheinebene, in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten kaum noch Bedeutung für die Holzproduktion mehr haben wird (und kann). Ökologische und Klimaschutz-Funktionen werden in den Vordergrund treten. Das Betreiben des Walds wird eine hochdefizitäre Angelegenheit werden.

Statt dessen müssen wir die Bedeutung des Walds als einzigartiges, heimisches und artenreiches Ökosystem begreifen.

Eine weitere Zerschneidung durch Straßen, Wege und Bahntrassen (!) vor allem in der Rheinebene darf nicht mehr stattfinden. Die Störung durch Windräder ist dagegen vergleichsweise gering.

Das Sterben vieler viel zu dicht gepflanzter Baumbestände bringt aber auch überraschend viele Vorteile:

- Auflichtung des Walds

- Drastisch größere Artenvielfalt in der Strauch- und Krautschicht

- Größere Überlebenschancen eines freier stehenden Baums mit intakter Krone

- Zunehmender Alt- und Totholzanteil fördert Insekten-Ökosysteme, Pilze, Vögel und Säuger.

- Nicht standortsgerechte Bäume wie die Kiefer und vor allem die Fichte fallen langsam aus.

Der Maikäfer bietet sogar Vorteile, denn er sorgt für eine natürliche Auflichtung der dichten Bestände.

Sogar für die Erholung haben lichte, artenreiche Baumbestände eine viel größere Attraktivität! Wer geht nicht gerne zwischen vielen Blüten und Sträuchern spazieren als im düsteren Fichten-Stangenwald?

Durch eine flächendeckende Pflanzung exotischer Bäume, die unserem Ökosystem fremd sind, gewinnen wir keinen Mehrwert und zerstören das Ökosystem weiter. Gerade Douglasie und Roteiche sind als Pflanzungen komplett abzulehnen, ganz zu schweigen von Exoten wie der Atlaszeder und ähnlich bizarren Vorschlägen.

Die Forstverwaltung muss ihre Ziele grundlegend ändern

Die anzustrebende Waldbewirtschaftung muss ökologischen Grundsätzen folgen. Die Klimadiskussion und der durch das Urteil des BVerfG geforderte Umbau der Wirtschaft bezieht gerade die Wirtschaftsbereiche mit ein, die unmittelbar Einfluss auf den Naturhaushalt haben. Neben der ebenfalls aus dem Gleis geratenen Landwirtschaft betrifft das die Forstwirtschaft. Die marktwirtschaftlichen Entwicklungen können und dürfen nicht ungesteuert das politische Handeln definieren – so ist das BVerfG zu verstehen.

Wir reden über die Forstwirtschaft und über den Druck der immer wieder weiter fortgeschriebenen Haushaltspläne, die unmittelbar auf die Bewirtschaftung der Wälder einwirken und eine ungute Festlegung forstwirtschaftlichen Handelns bewirkt haben. Diese Haushaltspläne konnten nur erfüllt werden, soweit das Handeln der Forst-(=Holz-) Wirtschaft sich nur daran und nicht an ökologischen Grunddaten orientierten. Das ist kein Vorwurf an die Forstverwaltung – so funktioniert „Wirtschaft“ immer.

Jetzt heißt es aber: die Krise ist eine Chance! Eine Chance zum ökologischen Umbau des Waldes (der in Teilen ein Neubau ist) ist die Chance, unseren Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten zu können.

Keinesfalls kann aber akzeptiert werden, dass im Bruchsaler Staats- und Stadtwald fremdländische Baumarten in großer Zahl zur Holzproduktion angepflanzt werden. Hier wiederholen wir die Fehler, die schon vor Jahrzehnten gemacht wurden und unter denen wir heute noch leiden.

(10.5.2021 MHa)