Streuobstwiesen sind eine erst im 19. Jahrhundert in der heutigen Form entstandene Kulturlandschaft. Erst die Tätigkeit des Menschen hat diese spezielle Ökologie mit dem typischen Gemenge von Grasland, Wiesen, kleinen Ackerparzellen, Obstbäumen verschiedenen Alters und Hecken geschaffen. Durch das spezielle Angebot von Streuobstbiotopen werden bestimmte Arten begünstigt. Spechte beispielsweise finden in Streuobstbeständen wesentlich günstigere Bedingungen als in einem geschlossenen Wald.
Bruchsal war wie viele Kraichgaugemeinden früher von einem Streuobstgürtel umgeben. In den östlichen Randzonen der Stadt, am Anstieg zu den Kraichgauhügeln waren praktisch alle etwas steileren Lagen, (wenn sie nicht für Weinbau geeignet waren) von Streuobst bestanden. Die flacheren Hochlagen dagegen wurden traditionell stärker landwirtschaftlich genutzt. Die Streuobstbestände sind nicht nur für viele Wiesenpflanzen, sondern auch für zahllose Insekten, Vögel und Säugetiere heute zum letzten verbliebenen Rückzugsraum geworden! Sie sind meistens durchsetzt mit Trockenrainen und Hecken. Dadurch bilden sie Bindeglieder zwischen Offenlandbiotopen und Hecken bzw. Wald. Dadurch bieten sie auch Arten der Weinberge und extensiv genutzten Äcker ein Refugium.
Die Abgrenzung von "Streuobst" in botanischem oder ökologischem Sinne gegenüber anderen Vegetationseinheiten ist nicht einfach, da es keine "Charakterarten" außer den Obstbäumen selber gibt. Ab welcher Dichte von Obstbäumen eine Wiese als Streuobst gelten soll, ist unklar. In der Unteröwisheimer Gegend war es durchaus üblich, unter den Obstbäumen Ackerbau zu betreiben. Eine "vernünftige" Definition von Streuobst sieht jedoch ungefähr wie folgt aus: Im Unterwuchs Wiese; Grundstück regelmäßig mit Obstbäumen bestanden (über 10 pro Hektar).
Das Streuobst hat ökologisch vor allem Verbindung mit den zwei großen Komplexen Magerwiese und Hecke. Im Unterwuchs wächst meistens eine extensive, ein- bis zweimal gemähte, oft sehr artenreiche Wiese, die unzähligen Insekten und Vögel als Lebensraum dient. Am Rand der Wege, an Stufenrainen und auf nicht mehr gepflegten Grundstücken liegen zahlreiche Hecken, meist ein Gemisch aus Schlehen-Weißdornhecken und Stockausschlägen von Schlehe und Kirsche (s. Kapitel "Hecken"). Die Obstbäume selbst tragen eine sehr typische und schützenswerte Flora und Fauna:
- Vögel: Kleinspecht, Steinkauz, Würgerarten, Grau- und Fliegenschnäpper. Der Steinkauz ist eine "klassische" Streuobst-Art. Er nistet in Hohlräumen und Astlöchern der Bäume.
- Schmetterlinge: Blütenspanner aus der Gattung Eupithecia.
- Bienen, Wespen und Schwebfliegen, die die Bäume als Nektarquelle benutzen und bestäuben.
- Käfer: zahlreiche nur an Obstbäumen (vor allem Kirschen) lebende Arten. Ein Teil davon lebt in frisch abgestorbenem Totholz (Äste). Viele äußerst seltene, bedrohte und besonders dekorative Arten (z. B. der große Bockkäfer Cerambyx scopolii oder der rot-grün glänzende Prachtkäfer Anthaxia splendens).
- Moose: viele Arten an der rissigen Rinde der einzelstehenden Obstbäume (besonders aus der Gattung Orthotrichum).
- Flechten: außerordentlich viele Arten, darunter seltene und bedrohte Arten. Die Obstbäume sind vermutlich die artenreichsten Flechtenbiotope des Gebiets (s. auch Palme 1988)! Man spricht sogar oft von den "Obstbaumflechten" (s. Kap. Flechten). Es kommen z. B. Blattflechten (Parmelia, Physcia u.v.a.), Strauchflechten (Evernia) oder Gelbflechten (Xanthoria) vor.
Die akute Gefährdung der Streuobstbestände beruht auf folgenden Faktoren:
- Mangelndes Interesse der Besitzer, hervorgerufen durch fehlende Bereitschaft zur Pflege als "Freizeitlandwirt". Viele Eigentümer haben auch einfach keine Zeit mehr. Ein finanzieller Anreiz besteht sowieso nicht mehr. Der einst lohnende Kirschenanbau von Unteröwisheim ist ebenfalls nicht mehr attraktiv, da gerade bei Kirschen der Pflückaufwand immens ist. Die meisten der alten Bäume tragen altmodische Obstsorten, die oft nur zum Brennen taugen. Zersplitterte Besitzverhältnisse könnten oft nur durch eine Flurbereinigung aufgelöst werden, aber gerade diese öffnet die viel attraktivere Möglichkeit des Verkaufs an Großlandwirte. Überalterung der Besitzer. Ein Großteil der Streuobstgrundstücke wird von älteren Leuten gepflegt. Oft fallen derartige Grundstücke auch an Erbengemeinschaften, die kein Interesse an der Pflege haben.
- Flurbereinigungen. Oft wird ein Verkauf an Großlandwirte durch die schlechte Zugänglichkeit des Grundstücks verhindert; Flurbereinigung öffnet den Zugang zu Zusammenlegung und bietet damit eine Verkaufsmöglichkeit.
- Fehlende Pflege. Diese führt zum Sterben der Bäume, viel schneller aber zum Überwuchern mit Goldruten bzw. Zuwachsen mit Hecken. Besonders eklatant sieht man das in schwierig zugänglichen Steillagen (Michaelsberg).
- Nutzung als illegale und intensiv gepflegte Gartenhausgrundstücke mit "Datschas" (besonders schlimm z. B. die stadtnah bei Bruchsal gelegenen Flächen Weiherberg, Kugel-Flüssel, Langental und Benzengasse, aber auch am Michaelsberg).
Das Streuobst kommt im Gebiet in fünf großen "Komplexen" vor allem am vorderen Kraichgaurand vor. Dies sind:
- Bruchsal-Nordost mit dem Naturschutzgebiet Rotenberg (dem schönsten Streuobstbestand der Gemarkung), dem Odental, Zaisental, Glöcklesberg, Heubühl und dem geplanten Landschaftsschutzgebiet Kraichgaurand. Das gesamte Gebiet Bruchsal‑Nordost droht(e) durch den Bau der B-35-Nordumgehung schwersten Schaden zu erleiden, was vermutlich zum Aussterben vieler Arten in unserem Raum führen wird.
- Bruchsal-Südost mit dem früher ökologisch besonders bedeutenden Hügel der Silberhelde oder Igenau, der unter einem Baugebiet verschwand - eine der fatalsten ökologischen Sünden der letzten Jahre!
- Die ausgedehnten Streuobstgebiete von Benzengasse, Schwabberg, Schwallenberg, Nießmer, Kugel-Flüssel, Langental, Saugrund und Weiherberg sind bereits sehr stark mit Freizeitnutzung (Gartengrundstücke, "Datschas") durchsetzt und dadurch beeinträchtigt. Sie üben dennoch die Funktion einer "grünen Lunge" für Bruchsal aus und sind klimatisch besonders bedeutend.
- Michaelsberg und Habichtsbuckel bei Untergrombach zu beiden Seiten des Grombachtals. Vor allem der Südhang des Michaelsbergs ist eine geschlossene Streuobstflur. Die Gefährdung kommt hier vor allem durch mangelnde Nutzung und Verbuschung in den Steillagen zustande.
- Michaelsberg und Habichtsbuckel bei Untergrombach zu beiden Seiten des Grombachtals. Vor allem der Südhang des Michaelsbergs ist eine geschlossene Streuobstflur. Die Gefährdung kommt hier vor allem durch mangelnde Nutzung und Verbuschung in den Steillagen zustande.
- Obergrombach-Süd. Diese lockeren Streuobstgebiete sind ebenfalls stark mit Freizeitnutzung durchsetzt; Baugebiete bedrohen sie. Die Unterschutzstellung als FFH-Gebiet half allerdings.
- Unteröwisheim-Süd. Die Gemarkung des "Kirschendorfs" Unteröwisheim war früher fast flächendeckend mit Kirschen bewachsen (Unteröwisheim kultivierte eine besondere, haltbare und sehr begehrte Sorte, die "Unteröwisheimer Glanzkirsche"). Reste davon sind überall erhalten. Wie an anderen Stellen vielfach ausgeführt, gehört die Unteröwisheimer Gemarkung (neben Untergrombach) immer noch zu den zwei ökologisch wertvollsten Flächen des Kraichgaus. Die Unteröwisheimer Streuobstbestände sind vor allem durch Überalterung, mangelnde Pflege und Aufkommen von Goldruten bedroht.