Pflanze des Monats September 2020: Osterluzei - überraschend giftig

15. September 2020

Manche Pflanzen werden seit Jahrtausenden in "Kräutergärten" kultiviert und gelten als medizinisch wertvoll. Es ist aber meistens unklar, wo das "Wissen" um ihre Wirkung herstammt. Einige davon haben eine positive pharmakologische Wirkung, die allermeisten sind leider schlicht wirkungslos, und einige sind wirklich giftig und richten heute noch großen Schaden an. Ein Beispiel dafür ist die Osterluzei.

 

Bereits seit griechischer Zeit gilt die Osterluzei (Aristolochia clematitis) als Heilmittel gegen alle Arten von Gebrechen. Die Tradition hat sich vor allem auf dem Balkan heute noch gehalten, und in Asien werden Kräuterextrakte mit Aristolochia heute noch weit verbreitet verkauft. Bei uns ist diese Tradition glücklicherweise erloschen, und Osterluzei findet sich nur noch in alten Kräuter- und Klostergärten sowie im "Wärzwisch" zu Mariä Himmelfahrt. Auch ihre verwilderten Vorkommen gehen beständig zurück. In der Bruchsaler Region kommt sie nur noch selten vor; etwas häufiger zum Beispiel am Rhein in den Ritzen der Ufermauern.

Auf dem Balkan ist seit den 1950er Jahren bekannt, dass bei vielen Leuten, besonders auf dem Land, ab dem Alter von 40 bis 60 Jahren die Nieren stark geschrumpft sind oder ganz absterben. Diese Krankheit ist dort als "BEN" bekannt. Eine Ursache wurde lange gesucht und nie gefunden. Auch in Asien sind ähnliche Nierenkrankheiten weit verbreitet, aber nicht in Mitteleuropa.

Moderne Analytik und Genetik zeigte jetzt eine überraschende Ursache auf: Inhaltsstoffe von Aristolochia, insbesondere "Aristolochiasäure I", sind stark nierenschädigend und verändern die DNA. Die dadurch ausgelöste DNA-Mutation ist spezifisch und lässt sich durch Sequenzierung der DNA sehr genau nachweisen. Damit lässt sich Osterluzei als Verursacher des Nierenversagens dingfest machen. Sie könnte für Zehntausende von verfrühten Toden verantwortlich sein!

Auf dem Balkan ist die Tradition von Osterluzei als "Kräuterpflanze" noch weit verbreitet, und die Pflanze wächst dort wild in großer Zahl in Getreidefeldern. Das stabile Toxin wird daher auch in das Brot der Region verschleppt. Noch schlimmer: es reichert sich über die Osterluzei-Samen im Boden an und wird von anderen Pflanzen aufgenommen! Auch in Tomaten oder Weizen aus diesen Regionen finden sich nachweisbare Mengen von Aristolochiasäure, die offensichtlich über den Boden in diese hineingelangt sind.

Auf dem Balkan wird daher jetzt über eine großflächige Bekämpfung von Osterluzei und Reinigung des Bodens von Osterluzei-Toxinen nachgedacht. Es wird aber noch lange Zeit dauern, bis die Effekte verschwinden, und die Nierenschädigungen bei der Bevölkerung sind nicht mehr rückgängig zu machen. In Asien haben viele Länder Osterluzei als Bestandteil von Kräutermedizin mit sofortiger Wirkung verboten.

Leider ist dies ein weiteres Beispiel dafür, dass "Kräutermedizin" immer problematisch bleiben wird, besonders wenn tatsächlich wirksame Stoffe involviert sind. So genanntes "altvorderes" Wissen kann moderne pharmazeutische Forschung nicht ersetzen und ist manchmal schlichtweg gefährlich.

(Review u. a. in Chemical Engineering News, cen.acs.org, vom 3.8.2020 oder cenm.ag/aristolochic).

(15.9.2020 MHa)